Rezension aus FALTER 27/2015
Raupe und Mensch auf der Suche nach Liebe

Das Thema könnte eigentlich mit „Der kleinen Raupe Nimmersatt“ schon längst abgearbeitet sein. Wo Eric Carle in seinem ungebrochen erfolgreichen Buch auf Wiederholungen, Fingerübungen und prächtige Illustrationen setzt, gehen zwei österreichische Kinderbuchmacherinnen einen ganz anderen Weg: Sie bieten Infotainment für die Kleinsten. Ein wenig fühlt man sich an den Kinderbuchklassiker erinnert, obwohl bei genauer Betrachtung ein ganz eigener Stil generiert wurde.
Es geht, man konnte es schon vermuten, um den faszinierenden Prozess der Umwandlung von der Raupe in den Zitronenfalter. Ganz leicht und verspielt und mit vielen Wiederholungen beginnt die von der Autorin, Musikerin und Schauspielerin Astrid Walenta verfasste Geschichte, bei der immer mehr Informationen über die Lebensweise der Raupe und des Falters eingeflochten werden. Irgendwann steckt man auf so unbekümmerte Weise in der Thematik drin und hat die Langeweile, die oft von vor Wissen strotzenden Büchern ausgeht, souverän umgangen.
„Die kleine Zitronenfalterin“ macht Lust, mehr über die Welt der Tiere zu erfahren. Der Grund dafür sind sicherlich auch Maria Hubingers ansprechende Illustrationen. Sie hat ihre Collagen mit tapetenähnlichen Mustern versehen, die zarten hellen Töne wechseln sich mit den kräftigen ab, und auch Fotografien wurden hineingeschmuggelt. Manchmal reißt sie das Papier, überwiegend schneidet sie so, dass man die hellen Ränder des bunten Papiers sieht, was sich vom Hintergrund speziell abhebt und dem ganzen einen rauen Charme verleiht.
Zurück zum Inhalt: Der Zitronenfalter hat eine außerordentliche Fähigkeit. Er kann, gut versteckt, den Winter überleben. An der Stelle, wo er seinen ersten Frühlingsflug macht, sieht man eine Fotografie von einem Mädchen mit einem weißen Schleier. Die Assoziationen zur Erstkommunion sind geweckt, aber es ist alles nicht so, wie es scheint. Es geht vielmehr um diese kindliche Unschuld sowie um die große Liebe, die man wohl im Tier- und im Menschenreich sucht.

Marianne Schreck in FALTER 27/2015 vom 03.07.2015